Leben mit EDS

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Stefanie Briner

Nachdem sie jahrelang andere gepflegt hatte, wurde Stefanie Briner mit 31 Jahren selbst Patientin. Die seltene Bindegewebserkrankung Ehlers-Danlos-Syndrom zwang die zweifache Mutter ihren Job als Pflegefachfrau aufzugeben und ihren Alltag neu auszurichten. Text: Simone Fankhauser, Fotos: Susanne Seiler

Chronisch kranke Menschen sind herausfordernd und wissen alles besser. Dieses Bild hatte sich Stefanie Briner während ihrer 15-jährigen Tätigkeit als Pflegefachfrau eingeprägt. Als bei ihr 2016 das seltene Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) diagnostiziert wurde, fand sich die damals 31-Jährige plötzlich auf der anderen Seite wieder.

Beschwerden hatte sie schon seit Kindertagen. Doch als passionierte Geräteturnerin hielt sie diese für normale Folgen ihres Sports. Auch die Überbeweglichkeit nahm sie beim Turnen als positiv wahr. Selbst die Nackenbeschwerden, die nach einem Schleudertrauma im Teenageralter nicht mehr verschwanden, beunruhigten sie nicht weiter. Mit den Jahren kamen immer mehr Probleme dazu, doch weil sich die Aargauerin an ein Leben ohne Schmerzen nicht erinnern konnte, akzeptierte sie auch diese.

Erst nach der Geburt ihres zweiten Kindes, als sie plötzlich von heftigen Rippenschmerzen geplagt wurde, beschloss sie, sich untersuchen zu lassen. Bei der vorgängigen Internetrecherche stiess sie auf das EDS. Was sie dazu las, erklärte alle ihre Beschwerden.

Zu wenig Energie für alles

Ihr erster Arztbesuch verlief alles andere als typisch für die seltene Bindegewebserkrankung: Der Rheumatologe, dem sie sich anvertraute, nahm sie und ihre Beschwerden vom ersten Moment an ernst und bestätigte nach verschiedenen Abklärungen ihren Verdacht. Die zweifache Mutter litt am hypermobilen Typ des Ehlers-Danlos-Syndrom. Da die Symptome dieser Krankheit mit 13 Subtypen vielfältig sind und stark variieren, warten viele Betroffene Jahre auf die korrekte Diagnose. Dieses Schicksal blieb Stefanie Briner zwar erspart. Mit den Folgen der Erkrankung leben lernen, musste aber auch sie.

Fast zwei Jahre versuchte sie, Krankheit, Familie, Haushalt und die Arbeit im Spital unter einen Hut zu bringen. «Aber ich merkte immer mehr, dass ich meine gesamte Energie aufbrauchte und über meine Grenzen gehen musste, um meinen Job weiter ausführen zu können. Nach der Arbeit litt ich unter enormen Schmerzen und war völlig erschöpft.» 2018 zog die Pflegefachfrau auf Druck ihres Arztes die Notbremse und kündigte schweren Herzens.

Stefanie Briner am Esstisch

Jammern auf gleichem Niveau

Der Verlust ihrer geliebten Arbeit wurde durch ihren Mann und ihre beiden Kinder gemindert. Für ihre Tochter und ihren Sohn war es das Schönste, dass ihre Mutter zu Hause war und Zeit für sie hatte. «Ich habe schnell gemerkt, dass es enorm viel Energie kostet, dem nachzutrauern, was nicht mehr geht. Es ist besser, zu akzeptieren und die Dinge zu geniessen, die noch möglich sind.»

Um ihre Situation akzeptieren zu können, hat Stefanie Briner sehr viel über ihre Krankheit gelesen. In der Literatur fand sie Erklärungen, weshalb ihr Körper sich so anfühlte und so reagierte. Der Austausch mit anderen Betroffenen und das «Jammern» auf gleichem Niveau, wie sie schmunzelnd anfügt, habe ihr enorm viel gebracht. Ohne die Selbsthilfegruppe und den Austausch mit den Menschen, die sie dadurch kennengelernt habe, wäre sie heute nicht da, wo sie jetzt sei.

Ablenkung gegen den Schmerz

Mit der Krankheit lebt die 39-Jährige bereits ihr ganzes Leben, mit der Diagnose mittlerweile acht Jahre. In dieser Zeit ist sie zur Expertin für die Vorgänge in ihrem Körper geworden. Heute weiss sie, dass chronisch kranke Menschen tatsächlich alles besser wissen in Bezug auf ihre Erkrankung. Weil sie Tag für Tag damit leben. Weil sie alles ausprobiert haben, was ihre Beschwerden lindern könnte. Weil sie wissen, was funktioniert und was nicht. «Mir persönlich helfen Wärme, Schröpfen und Tapen am meisten», sagt Stefanie Briner.

Unersetzbar sei auch die einstündige Massage, die sie jede Woche von ihrem Mann erhalte, um die Verhärtungen zu lösen. Eine spezifische EDS-Behandlung existiert noch nicht. Deshalb zielt jede Therapie auf die Milderung der Symptome ab. Dazu gehören auch Schmerzmittel. Schmerzfrei ist Stefanie Briner trotzdem nie. Auch jetzt nicht, wo sie mit ihrer 9-jährigen Tochter Englisch-Vokabeln übt. Doch die Kinder sind auch Teil ihrer persönlichen Therapie: «Wenn ich mit ihnen Hausaufgaben löse, bastle, Lego baue oder game, bin ich abgelenkt und die Schmerzen treten in den Hintergrund».

Aktivitäten für die Psyche

Wie gerne würde sie mit den Kindern auch rennen oder Trampolin springen. Aber hier muss die ehemalige Geräteturnerin passen. Alles, was sie über eine längere Zeit oder sehr intensiv tut, wirkt sich negativ aus. Kino- oder Theater besuche, bei denen sie lange sitzen muss, sind Gift. Manchmal gönnt sie sich trotzdem einen Ausflug oder einen längeren Spaziergang. Dies büsst sie in den Tagen danach dann aber jeweils mit mehr Schmerzen und Erschöpfung.

Stefanie Briner ist aber überzeugt: «Zwischendurch braucht es auch Aktivitäten für die Psyche, selbst wenn der Körper danach leidet.» Dennoch hat sich seit der Diagnose ihr Bewegungsradius verkleinert. Bei Ausflügen mit der Familie achtet sie darauf, dass sie wieder nach Hause könnte, sollte sich ihr Gesundheitszustand plötzlich verschlechtern. «Ich habe das grosse Glück, dass mein Mann meine Krankheit von Anfang an akzeptiert hat und viel Verständnis für meine Situation zeigt. Er und die Kinder nehmen stets Rücksicht und unterstützen mich, wo sie können. Das ist nicht selbstverständlich.»

Stefanie Briner mit Hilfsmitteln

Bauchgefühl, Austausch und Wissen

Für die schmerzhaften Stellen an ihrem Körper hat Stefanie Briner eine grosse Auswahl an Bandagen, Massagegeräten oder Tapes. Für die bleierne Müdigkeit, die mit ihrer Erkrankung einhergeht, gibt es kein Hilfsmittel. Hier hilft nur, den Alltag umsichtig zu planen und dem Körper die nötige Ruhe zu gönnen. Selbst Übungen aus der Physiotherapie hätten sie manchmal so viel Energie gekostet, dass nichts mehr für den Haushalt übrigblieb. Die wöchentlichen Therapie-Sitzungen hingegen sind ihr sehr wichtig. Mit der Therapeutin kann sie sich austauschen oder auch einfach einmal «abladen».

Dankbar ist Stefanie Briner auch für ihre Ärztin Aylin Canbek, bei der sie seit etwa einem Jahr in Behandlung ist: «Von einer Ärztin betreut zu werden, die einem versteht, nicht urteilt und weiss, wie es chronisch kranken Menschen ergeht, ist so wichtig, aber leider alles andere als selbstverständlich. Durch sie erhalte ich immer wieder wertvolle Tipps und Neuigkeiten aus der Forschung.»

Dieses Wissen gibt sie auch gerne im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für das Ehlers-Danlos Netz Schweiz weiter. Im Namen der Patientenorganisation berät sie Betroffene am Telefon. Aus ihrer Erfahrung sind drei Dinge zentral: «Auf das eigene Bauchgefühl hören, sich mit anderen austauschen und so viel wie möglich über die Erkrankung lernen». Anderen helfen zu können, gibt der Pflegefachfrau Kraft für ihren eigenen Alltag, der Gedanke, irgendwann wieder in ihren geliebten Beruf einzusteigen, Hoffnung: «Ich weiss nicht wann und wie, aber irgendwann werde ich wieder arbeiten.»

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